Brasilien

 

Zu unserer Zeit war alles unwahrscheinlich billig dort. Auch das Cornedbeef das wir auf den Kanaren relativ teuer gekauft hatten kostete nur einen Bruchteil. Zuerst ärgerten wir uns aber nachdem wir mal eine Dose davon probiert hatten waren wir doch sehr froh an unserer Exportqualität. Die Inlandsqualität taugte bestenfalls als Hundfutter. Aber alle anderen Sachen waren in guter Qualität erhältlich.

Die Preise waren natürlich dauernd in Bewegung. So konnte es passieren dass man einen billigen Artikel sah. Wenn man dann in 2 anderen Geschäften nach dem Preis gesehen hatte und zurückkam war der 1. schon wieder der teuerste.

Für uns war das schlimmstenfalls ärgerlich. Aber die Brasilianer mussten damit leben. Bis sie ihren Lohn ausbezahlt bekamen war er schon wieder viel weniger wert. Da brauchte man sich über die Kriminalität nicht zu wundern. Unter uns Seglern hieß es immer: die Brasilianer klauen den Hund von der Leine. Später traf ich die "Rosinante", eine deutsche Yacht, denen doch tatsächlich in Salvador ihr Schäferhund geklaut wurde so lange er vor einem Geschäft angebunden war.

Aber trotzdem ist Salvador de Bahia eine wunderbare Stadt mit sehr vielen alten Bauwerken. Diese sind aber doch sehr vom Zahn der Zeit angenagt. Natürlich nagt der Zahn in einem Klima wie dort sehr viel schneller. Es gibt immer kurze kräftige Schauer und dann scheint gleich wieder die Sonne. Da schimmelt und gammelt natürlich alles.

Da das Busfahren fast nichts kostete und das Netz sehr dicht war erkundeten wir Stadt und Umgebung sehr ausführlich. Auch das Überland Busnetz war sehr gut organisiert. So fuhren wir mit dem Bus nach Rio, nachdem es mit dem Schiff nichts geworden war. Unschön ist es dann halt wenn man spätabends dort ankommt und sich ein Zimmer suchen muss. Aber zum Schluss fand ich doch noch eines. Es war zwar ein Stundenhotel aber das Zimmer war gut und preiswert sodass wir 2 Wochen dort blieben. Natürlich besichtigten wir alles was es gab. Es ist wirklich die schönste Stadt der Welt soweit ich das beurteilen kann.

Wir machten auch Busausflüge z.B. nach Petropolis und einer kleinen Stadt daneben deren Namen ich vergessen habe. Sie war deshalb interessant weil sie von Deutschen aus dem Schwarzwald gegründet wurde. Man konnte wirklich meinen in einer Stadt im Schwarzwald zu sein. Zumal die Namen an den Häusern alle sehr deutsch aussahen und es auch viele Uhrenhersteller und feinmechanische Betriebe gab.

In Rio dann wurde ich Opfer eines Meisters von einem Taschendieb. Er klaute mir aus beiden Hosentaschen das Geld das ich für Bus und Bier dort lose hatte. Und aus dem Rucksack noch das Schminktäschchen meiner Frau das nach einem Geldbeutel aussah. Das alles beim Verlassen eines Busses ohne dass ich etwas merkte. Nur in die Schuhe kam er nicht und dort hatte ich das größere Geld versteckt. Dort und im Lichtschalter des Hotelzimmers. Ich fühle mich in Menschenmassen und im Gedränge nicht wohl. So glaubte ich bis dahin immer dass mich kein Taschendieb unbemerkt bestehlen könnte. Zumal ich in Salvador die versuchten Diebstähle immer bemerkt hatte. Dort war es üblich dem Dieb dann auf die Finger zu klopfen zum Zeichen dass man ihn bemerkt hatte. Schreien wäre zu gefährlich da konnte man leicht mit einem Messer Bekanntschaft machen.

So sicher ich mich in Salvador gefühlt hatte, so unsicher fühlte ich mich in Rio. Dort kam es öfter vor dass einen jemand sehr lange verfolgte und darauf lauerte dass man einen Fehler machte. Wie z.B. eine unbelebte Gasse durchlief. Auf einem Platz in der Innenstadt sah ich 3x vom Bus aus Überfalle von Kinderbanden. Nachdem sie die Brieftasche oder was auch immer geklaut hatten liefen sie immer sternförmig auseinander. Da hätte selbst der beste Sprinter keine Chance gehabt wieder an sein Eigentum zu kommen. Er wüsste ja gar nicht wem er nachzurennen hätte.

Aber trotzdem gefiel es uns in Brasilien sehr gut. Auch wenn wir eigentlich zur Winterzeit dort waren. Leider muss man das Land aber nach einem halben Jahr verlassen. Es wäre überhaupt kein Problem in ein Nachbarland zu fahren und neu einzureisen. Aber das Schiff muss auch raus und mit einer Segelyacht ist das in so einem Riesenland immer sehr weit. Egal wo hin. Nur aufs Meer wurde nicht anerkannt. Sie wollten einen anderen Ein und Ausreisstempel sehen.

Aber noch war es nicht so weit. Nachdem wir Salvador und Rio erkundet hatten erforschten wir mit dem Schiff die Bahia und einige Flüsse die darin mündeten und schiffbar waren. Sehr interessant waren die, ich glaube Saveiros genannten, kleinen Segelfrachter. Diese hatten keine Motoren und wurden je nach Bedarf und Möglichkeit entweder gesegelt, gestakt oder getreidelt. Sie hatten nur einen einzigen unverstagten Mast, aus einem speziellen Holz. Wie gewachsen, mit oben einem abgehenden Ast als Gaffel. Daran ein riesiges Segel. Die Saveiros transportierten alles was im ländlichen Brasilien so gebraucht und gehandelt wurde. Wie Vieh, Getreide, Baumaterial, Töpferwaren usw. Und wenn nichts zu transportieren war wurde Sand "gebaggert". Dies geschah indem man sich bei Ebbe auf einer Sandbank trockenfallen ließ. Da wurde das Schiff dann von einigen Männern mit Schaufeln beladen. Dann ging es zurück mit gerade mal noch einer Handbreit Freibord und die Besatzung dauernd am lenzen. Ich habe aber nie gehört dass mal einer dabei gesunken wäre.

Wenn sie nicht gerade unmäßig beladen waren, waren die Saveiros sehr schnell und die Besatzung immer zu einer kleinen Privatregatta aufgelegt. Außer an der Kreuz waren sie nicht zu schlagen, vor dem Wind hatte man ohne Spinnaker gar keine Chance.

Gegenüber von Salvador war die Insel Itaparica, der Wochenende und Ferienplatz der oberen 10.000 der Stadt. Aber unter der Woche war es heimeliges kleines Seebad einer vergangenen Epoche. Verschlafene kleine Pensionen und viele alte Villen. Ich machte dort und später von Cachoeira aus einige Fahrradtouren bei denen ich so einiges über das Land lernte. Wie z.B. alte Frauen die sich mit Steine klopfen ihren Lebensunterhalt verdienten. Denen kippte man eine LKW Ladung Felsbrocken hin. Diese zerklopften sie dann zu Schotter der dann abgeholt und im Straßenbau verwendet wurde. Auch sah ich einmal wie schnell die allgegenwärtigen Geier eine tote Kuh beseitigten. Als ich nach etwa 5 Stunden zurückkam war von dem zuerst fast unversehrten Kadaver außer den Knochen kaum mehr etwas übrig.

Für den Yachti interessant war die Mineralquelle auf Itaparica. Dort konnte man um fast nichts den Wassertank mit erstklassigem Wasser füllen und am Kai der Abfüllanlage das Schiff trockenfallen lassen. Mit unserem Hubkiel hatten wir für die Bahia und die Flüsse genau das richtige Schiff. So fuhren wir den Rio Paragacu hinauf bis nach Cachoeira. Dort war dann Schluss denn es kam eine Staumauer. Den Weg dahin musste man sich buchstäblich ertasten. Zuerst schon der See hinter Maragojipe. Bei Flut war es ein See. Bei Ebbe dagegen eine Wiese mit Bach darin.

Für den eigentlichen Fluss hatten wir eine Skizze die ein Franzose irgendwann mal angefertigt hatte. Da hieß es z.B." dem linken Ufer folgen bis zu dem Haus mit den blauen Fensterrahmen", nur dass diese inzwischen längst rot angemalt worden waren. Da musste einer immer mit einem Auge auf das Echolot blicken. Dass man sich in solchen Gewässern natürlich nur bei Flut, d.h. steigendem Wassern bewegt dürfte klar sein. So kommt man auch ohne Hubkiel immer wieder frei.

Cachoeira war ein kleines Städtchen das früher große Bedeutung hatte. Hier mussten alle Waren auf die Eisenbahn umgeladen werden. Der Paragacu war schon vor dem Bau der Staumauer wegen Stromschnellen nicht weiter befahrbar gewesen. Hier verbrachten wir einen guten Teil der Regenzeit und das Wetter war viel besser als in Salvador. Dieses behielten wir aber als Postadresse bei und fuhren so rund jede Woche mal mit dem Bus hin. Dort in den die Stadt umgebenden Favellas gab es in der Zeit einige Katastrophen. Die Favellas sind Elendsquartiere mit Hütten ohne Strom und Wasser die meist an steilen Hängen liegen. Dort ist das Land wertlos und meist herrenlos drum sind sie da geduldet. Bei starken Regenfällen rutscht dann halt gelegentlich der ganze Hang mit seinen Hütten .

Die Bewohner dieser Slums sind meistens ehemalige Kleinbauern und Landarbeiter aus dem Sertao, dem trockenen Nordosten Brasiliens. Nach ein oder zwei Missernten oder auch weil sie den Großgrundbesitzern unangenehm auffielen werden sie verjagt. Die einzige Möglichkeit nicht zu verhungern sind die großen Städte. Notfalls kommt man da immer noch mit Stehlen oder der Prostitution irgendwie über die Runden.

Die Prostitution ist in einem so toleranten Land allgegenwärtig und gehört dazu. Das beste Beispiel sah ich mal in Maragojipe. Dort war im gleichen Haus im Erdgeschoss eine Kneipe und im ersten Stock der Beetsaal einer der zahllosen christlichen Sekten. Im zweiten Stock dann das Bordell, und niemand störte sich daran! Als wir in Salvador mal zurück aufs Schiff kamen saßen 2 Mädchen an Deck. Sie hatten unser Schiff mit einem französischen verwechselt dessen Eigner ein Kunde von ihnen war. Da sie warten mussten bis das Taxiboot seine Fracht an Frauen auf die ankernden Frachter verteilt hatte und sie wieder an Land brachte tranken wir solange Kaffe. Und erfuhren so einiges aus dem Milieu.

In Cachoeira war dann ein Riesenfest zu St.Johann. Eine Mischung aus Landwirtschaftsausstellung und Musikfest. Das ging mehrere Tage rund um die Uhr. Von einigen der zum Fest angereisten Gaunern wurden wir dann auch auf dem Schiff beklaut. Die stahlen dazu einen Einbaum am Ufer und enterten das Schiff durch die bis dahin immer offenen Luken. Gleich am nächsten Tag baute ich mir dann ein Gitter das dann Nachts den Niedergang immer verschloss.

Geklaut haben sie jede Menge Zeug wie Fernglas, Taschenlampen, Radio, Foto usw. Da es aber alles altes Zeug war, war der realistische Wert nicht über 200 DM.     

Irgendwann fuhren wir den Fluss wieder abwärts und wollten unser Glück auf dem Jugaripe versuchen der hinter der Insel Itaparica in die Bahia mündet. Von dem gab es allerdings gar keine Unterlagen. Das fing dann schon mit der Brücke nach Itaparica an. Niemand wusste ob mein Mast mit 15 Metern darunter durchging. Von Deck aus ist das ja überhaupt nicht zu erkennen und eine Begleityacht war damals nicht dabei. So maß ich dann mit meinem Sextanten den Winkel eines darrüberfahrenden Omnibusses. Diesen mit 3,5 m angesetzt und ins Verhältnis zum Winkel der freien Durchfahrt gebracht ergab dass wir noch rund 3 Meter Platz für eventuelle, von unten nicht sichtbare Stromkabel, hatten. Der Jugaripe brachte aber von der Landschaft her nicht viel, ganz im Gegensatz zum Paragacu. Darum drehten wir wieder um nachdem wir uns von der 3.Schlammbank freigewühlt hatten. Statt dessen segelten wir jeden Zipfel der Bahia aus. Interessant war der von Aratu denn dort wurden Bohrinseln gebaut und überholt. Und wo kann man sonst an solchen Monstren mit 20 Metern Abstand vorbeisegeln.

Dann waren unsere 6 Monate fast um. Auch wollte Sabine für 3 Monate kommen und wir machten als Treffpunkt französisch Guyana aus.